Narzissmus und Mediation
Über die Chancen und Risiken von Narzissmus und Mediation
„Zum ersten Mal in der Geschichte hängt das physische Überleben der Menschheit von einer radikalen Veränderung des Herzens ab.“
Erich Fromm (Psychologe und Philosoph, 1900 – 1980)
Wenn wir die Licht- und Schattenseiten von Narzissmus im Management und die Regeln im Umgang mit Narzissmus auf uns wirken lassen, wird schnell klar, dass eine Mediation, unter der Beteiligung von Personen mit ausgeprägten narzisstischen Verhaltensweisen, sowohl die Konfliktparteien als auch den Mediator vor besondere Herausforderungen stellt. Viele Menschen bewegen die Fragen: Sind Mediationen unter der Beteiligung von narzisstischen Persönlichkeiten überhaupt sinnvoll? Narzissmus und Mediation? Wie passt das zusammen?
Für uns als Mediatoren ist der Umgang mit Narzissten kein neues Phänomen. Vielmehr kommt dem Ausgleich des Machtungleichgewichts zwischen den Streitenden seit Einführung der Mediation in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre von jeher eine besondere Bedeutung zu. Wenn auch die Schwere der narzisstischen Tendenzen unterschiedlich ist, ist nahezu jede Mediation davon betroffen.
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Das Grundanliegen der Mediation
Vergegenwärtigen wir uns zunächst noch einmal den Grundgedanken der Mediation: Dieser besteht darin, Beziehungen der Menschen untereinander friedlicher, freundlicher und glücklicher zu gestalten. Im Unternehmen dient sie „dem inneren als auch dem sozialen Frieden des Einzelnen beziehungsweise der Gruppe.“1
Rein formal handelt es sich bei der Mediation um ein außergerichtliches, strukturiertes Verfahren zur konstruktiven Beilegung einer eskalierten Konfliktsituation. Die Streitparteien werden bei ihrer ergebnisoffenen Lösungssuche durch einen unabhängigen Dritten – dem Mediator – mit dem Ziel unterstützt, am Ende, zu einer gemeinsamen und tragfähigen Lösung zu finden. Obwohl es auf Unternehmensseite vielfach darum geht, die Produktivität (wieder) zu erhöhen, kostenintensive Rechtsstreitigkeiten abzuwenden und Imageschäden zu vermeiden, konzentriert sich die Mediation auf den zwischenmenschlichen Prozess und setzt auf sogenannte „Win-Win-Lösungen“. Lösungen, mit denen es den Menschen am Ende besser geht und die zur Entlastung auf der körperlichen und seelischen Ebene beitragen.
Die Zuhilfenahme des Phasenmodells zur Deeskalation
Die Ausgangssituation ist für alle Menschen in der Regel gleich: Konflikte, die eine Mediation erforderlich machen, sind von Grund auf emotional aufgeheizt. Gefühle sind verletzt, das Ego hat Krater bekommen und die Nerven liegen blank. Verhandlungen sind festgefahren, Positionen verhärtet und die Gespräche laufen, wenn überhaupt, über Dritte und nur noch destruktiv ab.
Um die Situation zu entspannen, bedienen wir uns in der Mediation einer strukturierten Vorgehensweise. Der Mediator durchläuft gemeinsam mit den Streitparteien einen Klärungsprozess, der in unterschiedliche Phasen unterteilt ist. Diese schrittweise Vorgehensweise schafft die Struktur für das Verfahren und trägt bereits zur Deeskalation bei. Besonderes Augenmerk setzen wir auf den Vertrauensaufbau. Dafür dient uns der sogenannte „sichere Rahmen“. Er sorgt dafür, dass während der Mediation bestimmte Regeln eingehalten werden und der Mediator im Falle einer Eskalation das Recht zur Invention hat. Der Schutz der Streitenden hat für uns im Verfahren oberste Priorität. Die Verantwortung hierfür liegt sowohl beim Mediator als auch bei den Konfliktpartnern selbst.
Das Risiko und die Gefahren in Bezug auf Narzissmus und Mediation
Das größte Risiko einer Mediation besteht darin, dass sich ein Konflikt im Nachhinein für die hierarchisch „Schwächeren“ noch verschärft. Doch warum ist das so? Gelingt es dem Mediator, eine vertrauensvolle Atmosphäre in der Mediation herzustellen, öffnen sich die Teilnehmer und ermöglichen den anderen Anwesenden einen Einblick in ihre Gefühlswelt und die damit verbundenen Bedürfnisse. Damit machen sie sich auf eine gewisse Weise angreifbar, denn nicht jeder Mensch geht sorgsam mit diesen Informationen um. Im betrieblichen Umfeld kann es daher passieren, dass das gewonnene Wissen später „gegen den anderen“ in Form von Mobbing oder Bossing verwendet wird und sich die Situation sogar noch verschlimmert.
Doch auch für die vermeidlich „Stärkeren“ Medianten, ist eine Mediation nicht gefahrlos. Viele Führungskräfte verändern sich erst unter dem Einfluss von Macht, was zur Folge hat, dass sich die narzisstischen Tendenzen in ihrer Persönlichkeit verstärken. Das ist nicht verwunderlich, da auch sie aufgrund der dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen einer wachsenden Verunsicherung unterliegen. Durch den Druck, der durch den schnellen Wandel in den Unternehmen ausgelöst wird, geht ihnen schließlich ihre Empathie- und Konfliktfähigkeit verloren. Skrupel und Bedenken werden zur Seite geschoben und Entscheidungen unreflektiert und gnadenlos durchgepeitscht. Lassen sie sich auf eine Mediation ein, setzen sie sich der Gefahr aus, dass ihnen der Spiegel vorgehalten wird. Die andere Konfliktpartei spielt dann nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Begegnung mit sich selbst kann zu einer starken Krise des Selbstwertes führen. Das ist auch der Grund, warum sich viele Führungskräfte einer Mediation oder sogar einem Coaching verweigern und erst zustimmen, wenn ihnen durch die Gremien die Pistole auf die Brust gesetzt wird. Sie sind sich dieser Gefahren sehr wohl bewusst.
Aus der Praxis: Eine große deutsche Bank hat in einer ihrer Abteilungen eine Mediation durchgeführt. Der Konflikt schwelte schon seit Jahren und belastete die Mitarbeiter stark. Krankheitsfälle häuften sich und es wurde nur noch gegeneinander gearbeitet. Lange haben die verantwortlichen Führungskräfte die Augen zugemacht und die Dinge schleifen lassen, bis sich schließlich der Betriebsrat vehement für eine Klärung der Situation eingesetzt hat. Eine Mediation wurde anberaumt. Das Mediatoren-Team hat in den Vorgesprächen darauf hingewiesen, dass bei der komplexen Situation eine einzelne Mediation nicht ausreichend ist. Sie empfahlen ihrem Auftraggeber, die Abteilung in einem längeren Prozess über ein Jahr zu begleiten, weil sie wussten, dass eine einzelne Mediation nicht ausreichend sei und gewisse Gefahren bürgt. Aus Gründen von Unverständnis und Ignoranz wurde dieser Vorschlag abgelehnt. Dem Mediatoren-Team gelang es innerhalb der 2-tägigen Mediation, ein Klima der Offenheit und Wertschätzung zu schaffen. Die Kollegen entspannten sich und fanden gemeinsam erste Lösungsansätze. Mit diesen Erkenntnissen und Ergebnissen kehrten sie in ihren Arbeitsalltag zurück. Nach nur 2 Monaten war die Situation schlimmer als zuvor. Was war passiert? Die Mitarbeiter hatten innerhalb der Mediation Vertrauen gefasst und sich von ihrer verletzlichen Seite gezeigt. Eine der teilnehmenden Führungskräfte hat sich das zunutze gemacht und kurz darauf vertrauliche Informationen gegen eine Mitarbeiterin verwendet. Eine Konflikteskalation mit Ansage.
Die Chancen einer Mediation für Mitarbeiter und Führungskräfte
Einige von Ihnen stellen sich nach dem Lesen meines Beitrags möglicherweise die Frage, ob es nicht grundsätzlich besser ist, von einer Mediation Abstand zu nehmen. Die Antwort ist einfach: Nein, ist es aus meiner Erfahrung nicht. Eine Mediation bietet große Chancen, denn sie schafft sowohl für Mitarbeiter als auch Führungskräfte einen Raum für einen Austausch. Sie erhalten die Möglichkeit, das auszudrücken, was sie schon lange bewegt, was sie an ihrer gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsfreude hindert und in ihrer Leistungsfähigkeit einschränkt. In dieser immer schneller werdenden und unübersichtlichen Welt, wo viele unserer bestehenden Werte infrage gestellt werden, bedarf es mehr denn je Räume für eine ruhige und strukturierte Konfliktbearbeitung und für die Reflexion. Auch wenn Sie gerade frustriert sind und ihre Kollegen oder Mitarbeiter nicht ausstehen können, ist es meist den äußeren Umständen im Unternehmen geschuldet: Fehlende Konfliktfähigkeit im Management, unzureichende Regelungen der Aufgaben- und Verantwortungsbereiche, mangelnde Kommunikation und insbesondere das unnötige „Management by Crisis“, bieten einen Nährboden für Konflikte in Unternehmen. Um hier Entspannung hereinzubringen und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, leistet die Mediation eine wertvolle Unterstützung.
Resümee Zusammenspiel von Narzissmus und Mediation
Narzissmus und Mediation schließen sich nicht aus. Jede Mediation bietet Chancen und Risiken über die sich jeder Mediand von vornherein im Klaren sein muss. Wie bei einem Rechtsstreit, ist es auch bei der Mediation eine Frage der persönlichen Abwägung, die jeder für sich individuell entscheiden muss. Sie können auf das Verfahren positiven Einfluss nehmen, indem Sie sich einerseits gut auf die Mediation vorbereiten und andererseits bei der Auswahl eines geeigneten Mediators bestimmte Kriterien beachten: Fachkompetenz, Feldwissen, Lebenserfahrung und Allparteilichkeit gehören genauso mit dazu, wie eine gefestigte Persönlichkeit, die über eine den Menschen zugewandten humanistischen Grundhaltung verfügt.
Herzlichst, Ihre Andrea von Graszouw
Weitere Informationen:
Informationen und Fachartikel zu Narzissmus und Mediation finden Sie in Die MEDIATION, das Fachmagazin für Wirtschaft, Familie, Kultur und Verwaltung, Ausgabe 2/ 2016, Narzissmus – Das Ich im Mittelpunkt.
Die Leseproben zu meinen Büchern RATGEBER KRISE, RATGEBER MEDIATION und MEDIATOREN ALS GERECHTIGKEITSSTIFTER und BLEIB RUHIG UND LÄCHLE EINFACH finden Sie im Bereich Bücher.
Quelle ¹ Vgl. Montana, Leo und Kals, Elisabeth: Mediation – Ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage (2001), Vorwort S.2)
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